Die Ballade vom großen Glück

Für den einen etwas ganz Leises, für den anderen etwas bedeutsam Materielles, in der Regel der Befreiungsschlag „Lottogewinn" - Erlösungsfantasien allseits. Das Streben danach ist nahezu unaufhörlich, die Erwartungen sind groß. Was ist das große Glück? Ist dieser Begriff objektivierbar? Kann es die erhoffte Erlösung geben oder handelt es sich vielmehr um ein irrationales Konstrukt? Heiner Köse

Lamborghini

 

Aus der Ursuppe geschwommen kommt neben dem autonomen Willen nach Selbsterhalt das Streben des Menschen nach seinem Glück, nach seinem persönlichen kleinen oder großen Glück. Das Verlangen des Menschen nach Glück, oft als ein erhoffter Endzustand deklariert, von dem man sich wünscht, er würde stillstehen und man könne sich gemeinsam mit ihm einfrieren, ist unmöglich, ganz zu töten. Was aber ist das persönliche Glück, das eines jeden ureigenen subjektiven Kraftwerks im Streben und Überwinden von Unwohlsein. Womit geben wir uns zufrieden als Zustand des vollendeten Glückes? Was lässt sich als ausreichend klassifizieren, uns ein Zurücklehnen und ein Raunen der Bekömmlichkeit, uns dauerhaft ein ganzheitliches Gefühl von Behaglichkeit, Wohlstand, Sicherheit und Paradies zu bescheren? Welche Bedingungen voraus gesetzt sind, Menschen glücklich zu bekommen, damit beschäftigen sich Glücksforscher, so genannte "Happylogen" seit geraumer Zeit ausgiebig. Inzwischen gibt es weit mehr als 4.000 Studien zu diesem Thema.
 
Einer Befragung von 23.000 Personen aus 23 Ländern zufolge, sind in Deutschland nur 60% der Menschen glücklich mit ihrem Leben - in Norwegen sind es immerhin drei Viertel der Bevölkerung. Damit gehören wir Deutschen zum unglücklichsten Drittel der Welt. Einschlägigen Untersuchungen zufolge schaffen wir es einfach nicht, unseren relativen materiellen Wohlstand in Zufriedenheit umzusetzen. Kein Wunder, sagt die Glücksforschung, denn ein Garant für mehr Glück ist Geld ohnehin nicht. Geld ist für die Meisten einziger Indikator für den Lebenserfolg. Wer wenig Geld hat, schämt sich dafür, wer viel besitzt, hat Angst vor dem Neid der anderen. Die absurde Situation: Geld hat in der Gesellschaft einen riesigen Stellenwert, aber wir reflektieren kaum seine Bedeutung.

Was macht glücklich? Beruflicher Erfolg, mehr Zeit, mehr Kinder, mehr Anerkennung, mehr Gemeinschaftlichkeit und Zusammenhalt? Und vor allem: Mit welcher Methode kann man aktiv sein Glücksempfinden steigern? Glücksempfinden ist zunächst eine hirnphysiologische Erscheinung und zugleich eine Sehnsucht nach Komplettierung und Vollendung. Was mehrheitlich allen Glücksanwärtern gemeinsam bleibt, ist das ewige Warten, das Hoffen, das tägliche Streben - eine phänomenale Wirk- und Antriebskraft, meistens jedoch vergeblich. Erfüllung im Sinne von Sehnsuchtsverbannung will sich als anthropologische Konstante für die meisten so recht nicht einstellen. Es gibt eine Menge Unzufriedenheit, weil größtenteils die Erwartungen zu hoch und somit Unglück und Hadern vorprogrammiert sind.

 Sehnsucht

 Sehnsucht nach dem Großen Glück


Könnte das große Glück nicht ebenso ein irrationales Konstrukt sein, da praktische Widrigkeiten selbst einen holden Glückshans letztendlich doch immer wieder zurückholen in die Welt? Und zwar in Gestalt eines unwiderruflichen wie desillusionierenden Standardmusters, gegen das man sich einfach nicht wehren kann. Möglicherweise ist unser Glaube an das große Glück ja einer, der uns tief in die Irre führt, eine große Täuschung, ja sogar eine gefährliche Schieflage für uns und in uns erzeugt und unser Streben auf fatalistische Weise steuert. Haben sich zudem soziokulturell die Erwartungen in den letzten drei Dekaden sprunghaft gesteigert und steigern sich in vermeintlichen Wohlstandsgesellschaften des Westens immerzu? Und: ist die Unersättlichkeit nach materiellen Gütern ins Unermessliche gestiegen als wäre es ein ungeschriebenes Grundrecht, insbesondere unter ständiger Einwirkung medialer Machwerke aus Werbeindustrie und Film oder aufgrund Vorexerzierens privilegierter Finanzkreise, die etwa Reichtums imposante Kulissen als Normalität präsentieren und somit Bewusstseinshorizonte prägen (Reiche in Villen als Allgemeingültigkeit und Nachahmungstatbestand)? Dann sorgt unser aller ausgedehntes Anspruchsbürgertum zwangsläufig für kausale Spätfolgen an uns selbst. Eine Teilantwort darauf ist u. a. in den aktuellen Zahlen hinsichtlich Überschuldung privater Haushalte zu finden. Man kann dem massendynamischen Druck nur schwer standhalten und fixiert sich auf Güter und Werte, die rein quantitativ nicht jedem zur Verfügung stehen können und nebenbei auch hart zu erkämpfen wären. Die Chancen auf den erlösenden Lottotreffer, um all dies zu erreichen, sind ohnehin mikroskopisch klein - die Wahrscheinlichkeit eines Sechsers liegt bei eins zu 13,98 Millionen - aber der massensuggestive Wahn durch geschürte Mega-Jackpot-Kampagnen ist umso größer. Für den großen Befreiungsschlag werden für extra Bares Lottoscheine bis zum Rand ausgefüllt. Hoffnung, Wunsch, Sehnsucht und Glaube stehen im Vordergrund, was Realismus an Boden verlieren lässt - eine gehörige Verblendung! Glaube versetzt Berge, aber macht er auch gesund?

Es fragt sich, wie es zu solch verzerrten Maßstäben kommen kann. In erster Linie besteht der Antrieb für den Erwerb großen Reichtums darin, eine ganz persönlich bestimmte Version des guten Lebens zu verwirklichen, wie die Lebensläufe manch großer Kapitalisten auch deutlich zeigen. Unabhängigkeit von anderen ist unterschiedslos ein Kennzeichen des guten Lebens, wie es Reiche verstehen. Allein Macht schafft auch eine hohe Barriere. Reiche haben eine freiere Wahl in der persönlichen Lebensgestaltung. Weiterer wichtiger Antrieb ist der Wunsch nach Abgrenzung zu anderen, weil man nicht erträgt, nicht in voller Beachtung zu stehen, gar unbedeutend zu sein, um sich dann über den Weg der für jeden deutlich sichtbaren materiellen Güter eine anerkennenswerte Position zu schaffen. Ferner ist es stets die blanke Angst, welcher dieses Motiv entspringt. Es besteht von Geburt an eine unglaubliche Angst vor dem Tod, etwas zu verpassen oder zu kurz zu kommen. Da bedarf es reichlich Plüsch als Liebesersatz. Es muss sein. Für das mutige In-Kauf-Nehmen einer Lücke fehlen erworbene Merkmale wie etwa Liebe, Anerkennung, Körperlichkeit und Lebenshärte. Ein Loslassen ist zu schwer zu ertragen und würde bedeuten, den Geist aus dem Gefängnis des Greifens zu befreien, weil man erkennt, dass auch umgekehrt alle Angst und Verzweiflung aus der Begierde des Greifens entstehen. Die Verkrampftheit zu lösen, welcher Mutige und Verständige sollte das leisten? 

 Traumvilla

 Objekt der Träume

Dabei ist, vor allem in Zeiten zunehmend aggressiver Verteilungskämpfe und täglicher Tonverschärfungen, eines unmissverständlich klar: für alle bzw. für jeden Begehrenden wird nicht genug da sein, insbesondere was die materielle Variante des Begehrens und Greifens angeht. Zwangsläufig wird die Mehrheit auf der Strecke bleiben, obwohl gleichzeitig die Mehrheit von Reichtum träumt. Wie also soll das zusammen passen - was also soll (kollektiv) dabei herauskommen? Kann mithin nur den Stärksten, Widerspenstigsten oder durchgeknalltesten Egoisten gelingen, sich materielles Lebensglück zu ergattern. Wer wird verlieren? Einer muss! Diese Frage kann letztlich nur im atomisierten Individualismus entschieden werden. Sogar gemäßigte Erlösungsfantasien von mittelständischem Bürgerwohlstand scheinen für das begehrende Kollektiv künftig unrealistisch. Dazu etwa Mathias Grefrath, Publizist und Globalisierungskritiker: „Der Status des Mittelstandes war früher einfacher zu erreichen bzw. auch zu halten. Dazu gehört die Vorstellung vom eigenen Haus mit Garten und alles ist Persil weiß", das aber, so Grefrath, „schaffen wir nicht mehr, dafür ist es nach Wegbrechen des Mittelstandes zu spät!"

 

 

 


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