Heiligendamm ist ein sehr, sehr schöner Ort. „Aufgrund seiner Solitärlage, eingerahmt von Ostsee und unberührter Natur sowie seiner erlesenen Ausstattung ist das Kempinski Grand Hotel für ein Treffen dieser Bedeutung idealer Austragungsort. „Schon auf dem Weg dorthin spüren Sie eine unbeschreibliche Leichtigkeit. Sie fahren durch jahrhundertealte Lindenalleen und spüren, wie die Luft salziger wird. Umrahmt von der Ostsee und dichten Buchenwäldern erstrahlt die Weiße Stadt am Meer in hellem Glanz. Heute bilden sechs Gebäude in klassizistischem Stil einen Ort, an dem Luxus nicht Glitter oder Show ist, sondern Ruhe, Muße und Zeit: Das Kempinski Grand Hotel Heiligendamm." So heißt es im Werbetext des Hotels. Das ist bestimmt ein guter Grund, den Gipfel dort stattfinden zu lassen.

Kemp
Kempinski Grand Hotel

Seitens der Vorgeschichte unglaublich wichtiger EU/Russland-Gipfel, aus der Systematik bisheriger Treffen und unter Verwendung deduktiver Logik ist zu erwarten, dass die einzigen Resultate die sein werden, dass Batterien von Krawattenträgern durch feinste Suiten und Flure huschen, um in eigener Sache süße Hotelfrüchte zu ernten.

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ola senor presidente, habitacion estar preparado

Möglicherweise wäre es aussagekräftiger, die Zahl der verfügbaren Prostituierten, die sich im Umfeld der feinen Hotels zusätzlich ansiedeln, zu beobachten. Es wäre utopisch, zu glauben dieses weit verbreitete „Grundbedürfnis" würde ausgerechnet an einem „sauberen Ort", einer „weißen Stadt am Meer" wie dieser nicht entstehen. Das wäre gewiss der bessere Indikator, die trächtigen Geschehnisse zu erfassen - Spesen wollen schließlich untergebracht sein. Hier lassen sich vortrefflich Neigungen und Sonderwünsche älterer, vielleicht übergewichtiger Herrschaften realisieren. Es sollte nicht davon ausgegangen werden, dass es ausgerechnet hier nicht zu sexuellen Ausschweifungen kommt, der Querschnitt der Neigungen geht ja durch alle Schichten. Sei´s drum, sexuelle Eskapaden von Politikern, die deutsche Medien aus diversen Gründen geflissentlich ignorieren, sind kein moralisches Todesurteil in dieser Gesellschaft, warum auch - sie dürfen, auch „Wichtige" müssen ja nicht enthaltsam sein, sind ja welche von uns. Also bitte: Mätressenwirtschaft bei Regierungschefs, uneheliche Kinder, Seitensprünge, sexuelle Beziehungen zu jungen mietbaren Männern seitens des Sprechers des US-Repräsentantenhauses usw. verbucht man unter der selbst berauschenden Wirkung der Macht, die ja nicht als das schlechteste Aphrodisiakum gilt. Feine Gutsherren wie solche müssen für das Wohl der Welt folgerichtig eingezäunt werden, zum Schutz vor dem sich mit Unrecht umgebenden gewalttätigen Pöbel.

Das war natürlich üble Polemik, aber sind wir ehrlich: wenn es keine besseren Menschen sind, warum müssen sie sich dann Gebärden wie Könige? Im Grunde ist von „Zipfel-Europa" prinzipiell nicht die geringste Initiative zu erwarten die existenziellen Probleme der Menschheit in irgendeiner Hinsicht ernsthaft und nachhaltig anzupacken. Das dazu nötige Ur-Vertrauen ist bedauerlicherweise im Verlauf der Dekaden und aus bisheriger Historie vollends ins Wanken geraten. Schade, mit einer Idee mehr Vertrauen hätte man den Akteuren bestimmt mehr Liebe und Gönnerhaftigkeit entgegengebracht - man wäre nicht ganz so sauer! Ansonsten bleibt es bei alt Bewährtem: Das gesamte Volk muss bluten, damit die obere Klasse tanzen kann. So war es immer. Das ist das, was faktisch und ganz am ende raus kommt, nach dem Gipfel, nach jedem Gipfel? Das was allerdings raus kommt, ist nicht Fantasy und ist auch lange kein Spaß mehr! Törichte Politiker, die sich wegen Ergebnislosigkeit stets und überall ihren Ruf vernichten sind seit jeher an Tagsordnung. Und den Menschen reicht es, wie man zu sagen weiß. Der blanke Protest gegen Staatslenker, also gegen Leute, die es, ohne sich jede Minute empört zu regen, und in intellektueller Unbeweglichkeit überhaupt zulassen, dass woanders Menschen durch Krieg, Hunger, Krankheiten qualvoll verrecken, ist strafrechtlich nicht relevant, war es nie, weil es letztlich demokratisch legitimiert und zudem ein „rein politisches Argument" ist. Soweit, so gut, aber genau aus der Machtlosigkeit der Betrachtenden entstehen erst die Demonstrationen und Unzufriedenheiten über die langjährigen Vollblut-Lethargiker der weißen Städte am Meer.

Wer demonstriert hier eigentlich gegen was oder wen? Es lässt sich seit den 90er Jahren eine ernstzunehmende Repolitisierung erkennen. Es entstand großes Unbehagen gegen den „dreckigen Kapitalismus", unter dem bei genauerer Betrachtung eigentlich alle leiden. Viele wollen sich einfach mit den normativ gesetzten, absolutistischen Dogmen nicht abfinden, dergestalt dass es außer Wachstum nichts gäbe und wollen sich gegen die Ewig-Floskel wehren , es ginge nicht anders, als über den Weg der Ausbeutung der Erde und ständiger kapitalistischer Machtkumulation. Hier geht es nicht um Visionen, sondern um Plausibilität einer großen Gemeinde. Die Protestler wirken weder als Partei noch als Befreiungsorganisation, auch gibt es kein Zentralkomitee - es ist lediglich ein lebendes Internet. Es ist der moralische Imperativ in uns allen, der sie umtreibt! (Jean Ziegler, profunder Kritiker, Soziologe und Freund des Gegengipfels)

Wie kann der Mensch, als Beobachter und Konsument, seinen politischen Möglichkeiten verlustig gegangen, überhaupt noch in das globale Geschehen eingreifen. Was bleibt eigentlich noch? Truppen Knüppeln gegen die „Terroristen" von ganz unten. Eines ist klar: Randalierer weg, sofort, keine Diskussion! Was aber, wenn dann wieder Polizei-Knüppel auf demonstrierende Frauenköpfe oder daneben Stehende getrümmert werden oder Psycho-Polizisten mit Stiernacken (selbstverständlich „in der Hitze des Gefechts") Menschen brutal Zerren und Sperren?

Zunächst einmal lässt sich festhalten: Die Polizei kann und wird jederzeit eingesetzt, wenn die Staatsmacht das möchte! So war es immer! 1967, als Benno Ohnesorg da lag, erledigten dies die „Spanischen Reiter", welche die Demonstranten prügelnd vor sich her gegen die Wände trieben. Ein Ausweichen war nicht möglich. Demonstranten trampelten übereinander und viele brachen unter den Knüppeln der Polizei blutend zusammen. Das ist nur ein Beispiel, aber das ungefilterte Vorgehen der Ordnungskräfte hat sich im Verlauf der Dekaden nicht geändert und an sachgerechteren Auswahlkriterien bzw. Filterungsprozessen wurde nie gearbeitet. Polizei-Schulungen gibt es und „Deeskalation" ist das offizielle Stichwort, Kaugummi im Munde der jungen Bully-Polizisten ist trotzdem. Die Frage ist (bis heute zum Gipfel), ob man regelmäßig die Randalierer erwischt oder „in der Hitze des Gefechts" eher beliebige Personen traktiert bzw. wegsperrt. Letztlich geht es im Kontext ebenso um traumatisierte Opfer, in deren Wohnung eingedrungen „Razzia-Technik" ausprobiert wird und retardierte voreilige Psycho-Sheriffs sich Prügel-Legitimation erträumen! Der eigentliche Aufreger ist, dass so etwas seit jeher unantastbar legitim bleibt (dazu später mehr!)

Am 2. Juni 1967, wurde Benno Ohnesorg erschossen und sein Tod wie die Folgen sind vielen bis heute immer noch nicht vergessen. Da war noch die Beobachterin vor der Oper, die von Polizeiknüppeln getroffen wurde, der Polizist, der am Tatort war und später mit seiner Aussage dem Todesschützen zum Freispruch verhalf. Es ist zwar ein altes Ereignis, aber bis heute steht es für sinnlose Gewalt, aber auch für Aufbruch und Widerstand gegen die Elterngeneration und das verknöcherte Adenauersystem.

Sind Razzien legitim? Vermutlich. Die Gipfel-Razzien werden von Fachleuten jedoch als „teils unproduktiv" bezeichnet! Außerdem mehren sich die Stimmen, die den Begriff „Schikane" gegen Demonstranten verwenden. Es gibt prinzipiell nur wenig wirklich Gewalt bereite. Es ist „eine Promillezahl auf alle Demonstrationen". Da ist es im Fußballstadion gefährlicher. Die Frage ist also nicht, wie gefährlich sind Demonstranten, sondern wie gefährlich ist das Zusammentreffen von Demonstranten und staatlichen Interessen. Und das ist eine Grundsatzfrage. Es sollte im Übrigen nicht vergessen werden: Es steckt bei Protesten immerhin eine öffentliche Meinung dahinter und keine kleinen Gruppierungen. Die Regierung tut etwas anderes, als die Mehrheit es möchte, soweit das Prinzipielle.

Jedenfalls: Konrad Freiberg, Sprecher und Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, sieht die Notwendigkeit von Durchsuchungen im Vorfeld wohl schon, so gäbe es einen „Anstieg der Straftaten" (so auch Beckstein) und es gäbe natürlich auch Fälle, in denen „der Verdacht sich nicht bestätigt", aber „Anschläge müssen von Polizei und Behördenvertreten eben verhindert werden", so die saubere Argumentation. In dieser abstrakt-generellen Form klingt das immer recht einleuchtend. Zum Stichwort: „Kriminalisierung der Demonstranten", meint er weiter: „Straftäter sicherstellen, Beweise sichern, das ist zentrale Aufgabe. Im Vordergrund ist immer „die Sicherheit für die Menschen", auch gut! Auch Schäuble benutzt abstrakt generelle Formeln: „Wir müssen die Armut eindämmen (Gipfel), Terror bekämpfen, Gefahr, Gefahr, Gefahr... - „konkrete Gefahren" werden konstatiert, „pauschal" sind aber dann die Äußerungen. Die faktischen Geschehnisse dazu sehen dann allerdings anders aus.

Peter Wahl aus dem Attac-Vorstand meint: „Wir treiben auf Verhältnisse zu, die wir aus Russland kennen", in Russland herrscht eine ganz andere Wertbestimmung als beim hiesigen Vorgehen gegen Gewalttäter. Gemeint sind Verhaftungen im Vorfeld und die Vorbeugehaft als „gefährliches Instrument". "Diejenigen, die jetzt zu Demonstrationen aufrufen, haben mit den militanten G8-Gegnern nichts zu tun". Aus „Randalierern" und „Autonomen" werden „Terroristen" und dieser Begriff wird mittlerweile inflationär gebraucht. Also, Randalierer sind dann Bombenleger? Die dann folgenden Razzien sorgen unter diesen Voraussetzungen bestenfalls für Solidarisierungseffekte.

Zur Frage, ob Linksextremismus auch Platz für islamistisches Terrorpotenzial bietet, ob sich also Islamisten in Gipfel-Proteste mischen, wird von kompetenter Stelle angemerkt, dass dieses aberwitzige Postulat als abwegig eingestuft werden kann. Hier geht es um spezifisch-politische Demonstrationskultur ohne Religion! Islamisten arbeiten mit Raketenangriffen und Bomben und außerdem gibt es davon ab für so etwas auch keine Beispiele aus der Vergangenheit. Rein praktisch müssten Islamisten dann mit emanzipierten Frauen reden, das aber ist unerträglich für sie, Frauen als „Planungspartner" überhaupt ernst zu nehmen ist meist schon schwierig, außerdem mag man sich nur schwer vorstellen, dass Islamisten auf den „LinksFaschoPolitGipfelzug" mit aufspringen.

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