Kult in Düsseldorf-das war der Geist der 68er
Erfolgreiche Reanimation der Party aus dem Düsseldorfer Kult-Club „Creamcheese" (1967-76), in dem selbst Größen wie Frank Zappa und Greg Lake gern Station machten. Ein Flashback in die wilden Jahre unverbrauchten Sounderlebens! Heiner Koese & Sandro Nadinic
Samstagabend, 24.03.07, Frankenheim-Halle Düsseldorf. Es war wieder soweit! Nostalgische, in Ansätzen pathetisch-hippieske Anflüge in Gestalt einer Kultparty nicht nur für gesetzte Herrschaften. Hier geht es um mehr als eine simple Fun-Party. Die „Creamcheese-Revival-Party" (CRP) bietet eine der ganz wenigen Möglichkeiten, 50jährige plus Jüngere an einem Ort zu bündeln und glücklich zu machen. Es geht um ein Beschnuppern bzw. einen interdisziplinären Dialog zwischen Partykulturen. Turnusgemäß wurde am Samstag in der Frankheimhalle die erste CRP des Jahres gefeiert, welche seit geraumer Zeit zweimal jährlich stattfindet und das Beste: voll etabliert ist. Durch einen Zeittunnel strömen sanfte 50jährige Altrocker/Innen („Alt-Psychedelics") für einige Stunden in die Unbefangenheit der 68er/70er, welche als Zeit der „Gegenkultur" klassifiziert war, um gemeinsam die Romantik des legendären Clubs „Creamcheese", dessen Kernzeit zwischen 1967 und 1976 lag, wiederherzustellen.
Das Creamcheese war kein normaler Club, sondern Ausdruck eines Lebensgefühles sowie berüchtigtes Highlight. Er war besonders angesagt bei Menschen, die "anders" waren, sich von der Masse durch Aussehen, Ansichten und Geschmack abhoben. Die Besucher waren zu 90% Stammpublikum, jeder kannte jeden und es hatte etwas Familiäres. Die gleichen Probleme, die gleichen Interessen. Das Creamcheese gab Vielen ein Gefühl von Geborgenheit, die diese Generation bei ihren Eltern nicht fand, oder lediglich Verständnislosigkeit erntete.
Im Zeitstrahl befindet sich die Kernzeit dieses Clubs mitten in Studentenprotesten und dem hedonistischen Geist der 68er, der Zeit der gegenkulturellen Jugendbewegung. Weltweit sind Studenten politisch aktiv. Die politisierte Jugend wollte sich von ihren „Nazivätern" nicht mehr vorschreiben lassen, wie lang die Haare zu sein hatten, wann der richtige Zeitpunkt für das erste Mal sein soll und welche Schallplatten man hören darf. Parolen und Zeitgeist waren gegen jegliches Kleinbürgertum. Sinnliche Begierde sowie unmittelbare Triebbefriedigung wurden langhansgerecht großgeschrieben. Grundsatzgedankengut dieser Zeit war: „Wer einmal mit der Gleichen pennt, gehört schon zum Establishment"!
Müsse man die Klientel des einstigen Creamcheese klassifizieren, so wäre sie eher dem Lager der 68er zuzuordnen als der Nacktheit und Naturverbundenheit einer Hippiekultur, zu der es eine klare Abgrenzung gab. Engagierte Nackte gab es im Creamcheese (bis in Ansätzen auf Ikonen-Barfrau Mora mit dem legendären, gut sichtbaren, Busen) in der Regel nicht. Die von San Francisco ausgehende Hippiebewegung stellte - die ihrer Meinung nach - sinnentleerten Wohlstandsideale der Mittelschicht in Frage und propagierte eine von Zwängen und bürgerlichen Tabus befreite Lebensvorstellung. Im Vergleich zur 68er-Bewegung dominierte hier noch stärker individualistische Selbstverwirklichung als gesellschaftspolitisches Konzept. Das passt nicht ganz astrein ins Muster der „Creamcheese-Familie". Zudem existierte die Ur-Hippie-Bewegung ohnehin nur bis 1967, bis sie genau dann symbolisch zu Grabe getragen wurde, als sie sich aufmachte, Massenbewegung zu werden. Teilweise jedoch überschnitten sich die Ideale der Bewegungen. Die Idee von einem humaneren und friedlicheren Leben, welches unter dem der Hippiebewegung verwendeten Synonym Flower-Power („Blumenkraft") firmiert, haben beide Bewegungen jedoch gemeinsam. Insofern erhielt dieses Ideal auch im Creamcheese Repräsentanz.
In der einst zerfledderten Garagenatmosphäre wurde keinerlei Wert auf Etikette gelegt, sondern auf Inhalte, Wärme und Herzlichkeit. Alles wurde akzeptiert. Avantgarde, Hippie, Love, Freedom, Revolution gegen „Papa" wie 68er-Geist und später den etwas abgemilderten 70er-Geist. Selbstverständlich wurde im Creamcheese auch gekifft!
Bei den heutigen CRPs geht es nicht um 70er-Mainstream-Musikpartys. Es wird auch gewiss nicht jubelnd gejauchzt wenn Abbas „Dancing Queen", Smokies „living next door to Alice", Amanda Lear´s „Queen of Chinatown" oder Patrick Hernandez´ „born to be alive" läuft. Nein, bei diesem Revival-Fieber geht es um Hawkwind, Grobschnitt, Zappa-Psychedelic und elegisch auskomponierte Musikstücke als autostimulative Geduldsprobe und körperlicher Akt der Balance zugleich - viele kommen ausschließlich wegen der Musik (anspruchsvolle Kunstmusik) hierher. War das Creamcheese früher seiner Zeit mit Underground und Psychedelic weit voraus, so bildet es auch heute in der „Renaissance" die Wohlfühl-Nische fernab des Massengeschmacks. Das Besondere an der Party ist neben der Reise in eine Zeit, die es eigentlich nicht mehr gibt, das authentische Flair und die wichtigste Droge heute ist einzig die Musik, im Zeitalter des Homo Öconomicus aber ohne Politik.
Die beliebten „CreamCheese-Revival-Abende" knüpfen gleichwohl nahtlos an alte Traditionen an. Sanftmütige „Alt-Psychedelicer" mit schwenkenden Armen befinden sich sphärisch taumelnd und manchmal kunstvoll stolpernd auf der Tanzfläche. Langsamer Tanzstil, der ruckartig ins Radikale überwechseln kann: Kopfschwenken, schwebend, engagiert, friedlich, verhältnismäßig undurstig - so geht es auf der Tanzfläche zu wie bei einem Befreiungsritus in Anlehnung an das damalige Gesellschaftskonzept der Vorschriftslosigkeit.
So exstatisch die einen, so statisch die anderen - Gäste, die an Tanzen gar nicht erst denken mögen. Eisernes Warten, bei Manchen ist der „Kult" immer noch nicht eingetroffen, ist doch manchmal müßig.
Außerhalb der Tanzfläche, köstliches Amusement, bei allen
Beteiligten.
Trotz physikalischer Gespaltenheit ist es mental eine verschweißte Menge. Hier in der Düsseldorfer Frankenheim-Halle war die Welt am Samstag verdammt in Ordnung. Es war ein gemischtes Publikum vorhanden. Selbst heutige „Disco-Freaks", die das Original Creamcheese nicht miterlebt haben, fühlen sich hier zuhause. Das Kriterium des Erfolges der Creamcheese-Partys ist neben Faktor Musik in erster Linie die Atmosphäre. „Alte", die das Flair der 60th genießen, wie begeisterte Junge, die den Begriff „Psychedelic-Underground" teils noch nie gehört haben, interessieren sich für diese Monokultur. Alle fühlen sich wohl und die berüchtigte Nischenveranstaltung stellt im kulturellen Gepräge Düsseldorfs inzwischen ein echtes Highlight dar - und: zumindest hier gibt es Analogien zur originären Hippiekultur, die einst als Nischenbewegung angedacht war. Ein Hauch von Herausbildung einer nunmehr separierten Gegenkultur ist auch bei der CRP vorhanden - bis auf die Marginalie einiger (neu)Gieriger, die noch dazu lernen wollen!