Medienkritik als berechtigtes Interesse in ernsten Zeiten der Quote als „Kulturkiller"
oder
Oliver Kalkofe fabrizierte die Worte: „Großkotzige Publikumsverachtung und kreative Lethargie im TV" und meinte etwas Böses, aber er hatte recht, weil er sagte: „Unser Fernsehen ist am Ende" und das klang irgendwie richtig... er war voller Mut, als er dies tat!
H.K.

 TV-Tod


Wie zu sagen ist, macht sich schon lange - nicht nur unter Verständigen - großer Unmut über das Medium TV breit. Flächendeckende Verflachungsszenarien, nervös zitternde Programmdirektoren, quotenträchtige Gefälligkeit und somit Quote als ernstzunehmender „Kulturkiller". Es ist innerhalb drei Dekaden ein Medium entstanden, welches (gesamtgesellschaftlicher Konsens) ausschließlich unter Wirtschaftsparametern, Rentabilitätsaspekten und letztlich simpler Geldjagd äußerst vital wurde, und was sich als krönenden Höhepunkt Sender erlaubt, die von ihrer Zielsetzung einzig darauf angelegt sind, Publikum so oft wie möglich kostenpflichtig ans Telefon zu bekommen, also gar nicht erst Programm senden.

In etlichen übergeordneten „Qualitätsdiskussionen" verweist man auf die schuldigen, dumm und dümmer werdenden, Konsumenten. Auf der Straße hingegen hört man alle schimpfen, alle haben die „Schnauze voll", wenden sich angeblich ab, oder sehen „gar kein fern" mehr? Ja, für wen wird denn noch gesendet? Einschlägige Untersuchungen hingegen konstatieren stetig wachsenden, stundenlangen Konsum nicht nur bei verwöhnten Kindern, sondern auch beim erwachsenen Durchschnittsbürger.

Die jüngsten Angriffe gegen das TV stammen vom Ex-Medienkritiker und bis dato systemintegrierten Fernsehprominenten, Comedian, Grimme Preis-Träger und nun mutigem Exponenten einer populären TV-Kritik (Spiegel 1/2007) Oliver Kalkofe. Kalkofe traut sich nun was, spricht die ketzerische Wahrheit: „Das Fernsehen ist am Ende!" aus. Er stellt darauf ab, dass beim Versuch, „es allen recht zumachen, und auf riskante Innovationen zu verzichten, das Fernsehen an den Knopf für den Selbstzerstörungsmechanismus" gekommen wäre sowie auf das „überstandene Fernsehjahr 2006, ohne etwas Spektakuläres geleistet zu haben"! Mutig, mutig - jetzt kann er poltern, man hört ihm zu, seine Meinung wird publiziert, er wird gelesen. Der Grimme Preis sitzt fest angeklebt in seiner Hosentasche. Das Beste aber: er poltert zu Recht! Es ist fast zum Jubeln. Ist das etwa der Anfang vom Ende der mentalen TV-Schreckensdekaden?

Die Wunde liegt womöglich tiefer. Denn es wird wohl nichts zu ändern sein! Zwar ist einerseits das Fernsehen stets flexibel und reaktiv, wenn es darum geht, irgendwo Quoten zu erhöhen, anderseits wohnt ihm die Systematik inne, nicht das Geringste an den ritualisierten Verkrustungen zu ändern. Es geht - bis auf wenige Einzelbestandteile - in der Fläche niemals um inhaltliche Qualität oder wirklich entscheidende Grundthemen und das ist bedauerlicherweise ein Dauerzustand.

Auch andere Statements führender Repräsentanten der TV-Landschaft mit den Stichworten „Mutlosigkeit" (Stefan Raab, Spiegel) und: „man muss es einfach wagen, dann wird man auch belohnt" (Iris Berben, RP 24.12.05) sind in diesem Zusammenhang dokumentiert. Iris Berben wünschte sich einst mehr mutige Produzenten und Regisseure, die „gegen alle Widerstände und Quoten ehrliche, authentische Filme machen". Die Menschen am Bildschirm wären „klüger, als manche Fernsehmacher glauben". Es solle sich „niemand von der Angst leiten lassen, eine Erzählweise könnte vielleicht zu anspruchvoll sein." Man müsse „es einfach wagen, dann wird man auch belohnt". Bravo, das sind doch mal Aussagen einer allseits respektierten TV-Ikone!!

Christoph Schlingensief rief im Februar 2006 lautstark in die Weiten des NDR-Talkshow-Studios: „Nicht immer nur Quote, Quote und irgendeine Fernsehästhetik..., nein, macht die Kanäle auf - wir müssen Gegensenden!!" Alle klatschten und jubelten. Das Ergebnis dieser Forderung hat Kalkofe ja zutreffend mit dem „überstandenen Fernsehjahr" benannt.

Dann: die TV-Diskussion bspw. in Plasberg´s atemberaubendem „hart aber fair", wo Programmdirektoren und Intendanten über die gute Quote und „jederzeitige Daseinsberechtigung der Volksmusik, die 8 Mio. Menschen glücklich macht", sinnierten und immer wieder erzählten, dass es sich nicht lohnt, und lohnen könne, anspruchsvolle Programme aus der "intellektuellen Nische" zu holen, weil sie ja so gefährlich und langweilig wären. Gleichzeitig aber kritische Autorenfilme, die unsere Welt vielleicht ein Stück klüger, fairer und besser machen könnten, zu jeder Zeit mit System von Programmdirektoren und Redakteuren mit dem stereotypen Argument: „zu radikal" abgeschmettert werden. Aber, was ist radikaler, als Etwas systematisch zu versperren?

Dabei hat genau dies in anderen Ländern sowohl mehr Tradition als auch viel mehr Chance (etwa: Frankreich, Spanien). Sogar im Iran oder in Saudi Arabien werden mittlerweile Filme gezeigt, die nah am Leben dran sind und über ausreichend Ernsthaftigkeit verfügen. Bollywood-Produktionen (Indien) haben ohnehin eine langjährige Tradition, das Sozialkritische, Gesellschaftspolitische, Realistische und Echte-Menschen-Widerspiegelnde mutig und sogar opulent zu zeigen.

Der deutsche Tatort, die jahrelange Institution, ist bis auf wenige Ausnahmen seit geraumer Zeit eine fragwürdige Einrichtung mit erschreckend Fantasie geladenen Storyboards, in denen bspw. ein Kommissar (Dominik Raake), nachdem er in einem U-Bahnschacht niedergeschlagen wurde, in der nächsten Szene benommen auf dem Sofa einer wunderschönen Frau in einem roten Kleid aufwacht, und von ihr verliebt umgarnt wird. Das schlimmere Übel sind allerdings die dazu gestrickten Dialoge und Gestiken. Einzig der renommierte Regisseur Dominik Graf zeigt, dass es durchaus anders geht. Er kümmert sich um realistischere, spannendere Produktionen - dafür ist er bekannt.

Auch Europas größte Fernsehshow „Wetten dass" mit der vorgeschalteten, funktionellen Strahlefigur  Gottschalk in farbenprächtigen Fürstenkostümen bietet zunehmend ein Verflachungsszenario auf. Die Samstag-Abend-Unterhaltung zum Entspannen in allen Ehren, aber muss es sich ausschließlich um Spektakularität als Selbstzweck handeln. Es besteht seit Jahren aus drei Hauptmerkmalen:
1. „Superstars" mit Kurzstatements, die schnell abreisen müssen
2. engagierte Baggerwetten
3. engagierte Gedächtniswetten
Es wird lediglich dann, wenn ein geistreicher lokaler Künstler dort auftritt, etwas gehaltvoller.

Letzter Höhepunkt im Fundus war die heftige Diskussion um den unglaublich authentischen, Bahn brechenden, wie Tabu sprengenden, „Kampf der Kulturen" schildernden Film: „Wut",  welcher  die Grundsatzfrage aufwarf, inwieweit man das „Ausländerproblem" thematisieren darf. Endlich mal ein Film eines türkischen Regisseurs, der Tacheles „filmte". Ergebnis jedoch war, dass ein Deutschenbild gezeigt wurde, was unerträglich war. Ein privilegiertes deutsches Paar in einer videoüberwachten Villa. Er betrügt Sie, Sie betrügt ihn im Karrierefieber und gesellschaftlichen Fegefeuer der Hautevolee. Der deutsche Mann war ein Weichei, auf das man Wut bekam.

Im Übrigen war es neben der primitiven Story, bestenfalls die Geschichte eines singulären „kriminellen Jugendlichen", der mit der größten Selbstverständlichkeit schwerste Straftaten beging, nicht mehr und nicht weniger. Er drang mal eben über den Balkon in die Wohnung ein, beobachtete andere seelenruhig beim Schlafen, beging Einbruch, Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, Körperverletzung, Bedrohung, Drogendelikte, Waffenbesitz...und am ende hielt er die „Knarre" an den Kopf des zitternden deutschen Familienvaters, der, als er verzweifelt über sich hinauswuchs, aufsprang und den türkischen Jugendlichen wie in amerikanischen Horrorfilmen im Swimmingpool nach einer Rangelei erledigte. Wahrlich ein echt gewagter Film und Meisterwerk an Realismus, und dafür die große Diskussion im Vorfeld, die Terminverschiebung wegen der Umstrittenheit, dem schwierigen „Reizthema", und dann noch eine schnelle, mit Sandra Maischberger durchgeführte, Studiodiskussion nachgeschaltet mit echten Gästen, die jederzeit die Echtheit und den Realismus des Machwerkes des anwesenden türkischen Regisseurs bestätigten. Also insgesamt erneut eine kulturelle Glanzleistung. Wo war das Atemberaubende, wo der „Kampf der Kulturen" thematisiert? Wozu dient so etwas?

Auf vollständig inhaltslose Nachmittagsprogramme, Dummserien, Superstarschwachsinn, Casting-Irrsinn für junges kreischendes Partyvolk, auf „Unterschichtenfernsehen" ohne Substanz oder weitere psychopathologische Werke des Schwachsinns sowie neuartige Gewinnspielsender, die von Abzockerkonzernen im Schulterschluss mit den Sendern vorfinanziert werden, um über den Weg des Telefons das Allerletzte noch abzugreifen, muss im Detail nicht eingegangen werden, das ist vollständig indiskutabel, aber trotzdem Ist-Zustand und letztlich Spiegelbild der an Boden verlierenden Nation im Wertekeller. Es soll ja gar nicht gestoppt werden! Es gibt welche, die vitales Interesse daran haben, aber wahrscheinlich selber nie so „etwas Ordinäres" konsumieren würden.


Bleibt fortzusetzen...!

Abschnitt 2

"Formatfernsehen"
In Wahrheit ist das aber keine Kultur, sondern eine moderne Form der Kulturbarbarei. (Zitat: Thomas Frickel)
 

Thomas Frickel / AG DOK

In Vorbereitung der Experten-Anhörung zur
„Rolle der öffentlich-rechtlichen Medien für die Kultur"
am 18. April 2005 in Berlin