9.12. 07 Oberhausen, Zentrum Altenberg: Geheimakte Riverside - nah dran

Riverside
                                                                                     foto by N.A.

09.12.07. Niemand kann es wissen: Geheimtreffen mit Riverside, einem polnischen Spezial-Agenten-Quartett, welches die vertrauliche Akte R. I - III, 2003/2007 - Triologie, „Rapid Eye Movement" offen legen will. Der Zielort heißt Oberhausen, Zentrum Altenberg.
von Heiner Koese

Ein museales Industrieterrain, dunkel ist´s, Dezember-Standardregen. Man gleitet eingeweiht durch die Nacht mit dem Ziel, die mysteriöse Veranstaltung wahrzunehmen, zu sehen, wie weit die neuesten technischen Entwicklungen gediehen sind, die Menschheit in Bälde mit (musikalischer) Weltrevolution zu übersäen. Am Zielort sieht man eine handvoll Gestalten durch ein Gebäudespalier über einen Hof in eine kleine Halle huschen. Es befinden sich teils düstere Gothic-Metaller bzw. Darkness-Kunst-Figuren, namentlich „Morlocks" unter ihnen - gewöhnlich eine gut sortierte Gruppe von Lichtvermeidern. Aber auch unverdächtig-harmlose „Normalos" sind zugegen, sogar in der Mehrzahl. Jedoch: solch Inoffizielle Mitarbeiter (IM), wehe wenn einmal losgelassen und im Auftrag stehend, dann wird aus „Normalo" „Maliziöso". Aber die Gesamtklientel des konspirativen Oberhausener Treffens ist insgesamt augenscheinlich gut und gerecht durchmischt.

An der Pforte des unscheinbaren Hauptquartiers mit Bühne und Getränkeverkauf keine Schlange, ein kurze Visumkontrolle des Verbindungsoffiziers, lockere Einzelabfertigung folgt, keine Losung gefordert - letztlich unkomplizierter Einlass in eine verdeckte Szene. Der hausinterne Schutz vor Spionage-Gegenständen war weder wirkungslos noch hoch engagiert. Es ist Einigen gelungen, „leichtes Gerät" (Fotohandys, Digitalkleinode) in das Treffen einzuschmuggeln, aber das wurde seitens der Kommandozentrale gemeinhin geduldet. Also genau anders als bei einem Treffen dieser Art und Güte erwartet. Jedenfalls gab es nicht das überkandidelte Brimborium einer Mega-Veranstaltung mit fragwürdigem künstlerischem Erlebniswert. Kann aber auch Tarnung gewesen sein, weil „Sie" ja gerade damit rechneten"?

Es haben sich ca. 250 Vergatterte eingefunden, die musikalische Berichterstattung des polnischen Agentenquartetts abzuwarten. Diese Beteiligtenanzahl ist für eine Weltrevolution zwar noch zu wenig, aber die Betonung liegt auf: „noch"! Wer weiß, wann? - aber eines Tages werden die Soldatenkaiser, Potentaten und Gewaltherrscher der massenindustriellen Musik verschwinden. Nach der „Pax Musicus Commercialis" kann nur noch der pulverisierende Verfall kommen, wie er sich in alle gewaltigen Weltreiche letztendlich einschleicht - so war es immer!

Es geht also zu konspirativer sonntäglicher Stunde, an der kaum einer versammlungsmäßig auf der Straße räsoniert, einmal mehr um eine Prog.-Mission, die man an diesem Ort sichten und akustisch begutachten kann. Möglicherweise ist es nun endlich die neue, lang erwartete Geheimwaffe im Rahmen der Mission.

„Überflieger" des Prog.heißt es über Riverside, „Klangfaszination"! Und da sind sie nun, aus Polen, die „Intrumentenbeherrscher": Mariusz Duda (voc., bass); Piotr Grudzinski (guit.); Michal Lapaj (keyb.); Piotr Kozieratzki (dr.) Zum zweiten Mal in Oberhausen, Zentrum Altenberg, dem Geheimort für professionelle Kunstmusik (etwa IQ, Flower Kings...) und viel Mut zur kommerziellen Lücke? (Muss ja manchmal sein, wenn man auf Inhalte fixiert ist). Gewissermaßen Championsleague im Versteck!

Beim ersten Konzert-Treffen des Gesandten-Quartetts dieser Art, an selbigem Orte, (19.04. 2006, „Second-Life-Syndrom-Tour") - sind die Titelgeber vorgenannter Geheimakte zunächst angetreten, eine erste „Geruchsprobe" in die BRD zu setzen. Sie haben sich nach eigenem Bekunden einst gefreut, jawohl sehr gefreut, in der deutschen Konzertszene, die durchzogen ist von Propaganda-Veranstaltungen kommerzieller Heilsbringer, Aposteln und glitzernden Gurus, ebenso Fuß fassen zu können. Und inzwischen gab es sie sogar im Paket mit den Granden von Dream-Theater, (Bonn Museumsplatz). Das barg viele Hoffnungen auf den Durchbruch.

Ihre Album-Trilogie (2003 bis 2007 - „Out of Myself", „Second-Life-Syndrom", „Rapid Eye Movement") ist seit geraumer Zeit fertig gestellt und sie haben es vermocht, ihre Qualität und eigenen Qualitätsanspruch die komplette Trilogie konstant ohne Einbrüche und Schwächen durchzuhalten. Ihr handwerkliches Können ist gepaart mit äußerster interdisziplinärer Stimmigkeit. Ihr Stil als Progressive-Band ist eine atemberaubend-harmonische Fusion zwischen düster, metal, atmospheric, meditativ, floydisch, größtenteils im Long-Track-Modus. Sie spannen atmosphärisch-dichte Klangbögen, wirken hypnotisch und teils chillig. Genau genommen ist jeder Song ein dramaturgisches Meisterwerk, es wirkt wie Literatur aus Instrumentenwörtern, Theater oder Kopfkino.

Riverside
                                                                                     foto by N.A.

Auch heute in Oberhausen ist bis auf den gestalteten Hintergrund mit ihrem Schriftzug wieder ein bescheidener Bühnenaufbau errichtet. Man ist infolge der im Grundsatz bedauerlichen, etwas zu dünnen, Besiedelung sehr nah dran an Riverside, und so wird es problemlos möglich, unmittelbar zu ihren Füßen zu verweilen.

Die Band wird im Verlauf des Konzertes prinzipiell das neue Album plus drei alten Tracks spielen. - von der spacigen Bonus-CD kaum etwas. Der lange, 10-minütige, als Intro vorgezogene, schon Spannung erzeugende, Abschluss- und zugleich Titeltrack des neuesten Albums: „rapid eye movement" fungiert als Opener innerhalb dessen noch die Bühne hergerichtet wird. Dann erscheinen sie flugs und gehen direkt voll auf Power mit „beyond the eyelids" und „ultimate trip". Anfangs ist der Sound mau mit teils übersteuerter Gitarre und die Vocals von Mariusz Duda sind nicht ausreichend differenziert.

Das nächste Stück „rainbow box" ist - so lässt sich guten Gewissens behaupten - ihr „Porcupine Tree-Track". Mittlerweile sieht Mariusz Duda frisurentechnisch auch aus wie Steven Wilson, der Frontmann ihrer „großen Brüder". Die brachiale End-Passage des Stückes wird hauptsächlich getragen von Gitarrist Piotr Grudzinskis. Daher wird es zugleich hypnotisch. Erster üppiger Jubel ist die Belohnung.

Mariusz Duda
Mariusz Duda
© Angela Durst/MagicLifeStyle

Piotr Grudzinski
 Piotr Grudzinksi                                © Angela Durst/MagicLifeStyle

Das nächstes Stück beginnt faktisch mit einer „Dancing-Passage". Das Keyboard wird von Michal Lapaj beidhändig als Tablas getrommelt, allerdings ohne Fellbespannung. Im Anschluss metalliger superpower! Es folgt „i believe" von „Out of Myself" mit dem ruhigen Beginn und fast mellotronen Keyboard dazu haucht Mariusz Duda sein „everything" leise ins Mikro. Souverän marschierende Gitarre. Dann: „reality dream II" - man könnte sagen, die Riverside-Hymne von Album 1. Sie wird sofort erkannt, da es zu heftigen Reaktionen und viel Bewegung im Publikum kommt. Es gibt einen floydischen Einstieg anhand der Leadgitarre und Marius Duda zieht quirlig und fest an den Basssaiten. Es ist quasi ihre Hymne. Der Mittelteil ist ausgedehnt und mit E-Piano bestückt, bestes Gitarrensolo hier. Anschließend wird das Publikum interaktiv zum „Mitsingen" aufgefordert und reagiert prompt. Dann: nach der Riverside-Hymne kommt die Riverside Superballade: „conceiving you". Es ist sozusagen ihr Shorttrack vom "Second-Life-Syndrom-Album". Nach einem erneut mellotronartigen Synthieintro ist Träumen angesagt. Obwohl der Sound leider etwas quietschig ist, kommt guter Jubel gleichwohl. Balladenartig geht es auch weiter mit „loose heart" vom ersten Album „Out of Myself". Ihr hier modifiziertes Gitarren-Solo im Mittelteil, macht einfach Spaß zu sehen und hören. Das den Abschluss des Tracks bildende: „raise me up" mit kräftiger Stimme von Mariusz sind zwar moderne Metal Growls, aber das kann er ja recht gut und es passt im Übrigen auch sehr schön ins Gesamtbild.

Bei „parasomnia" erfolgen saubere Gitarren, einige gelungene Synthieeffekte, mit filigranen Händen erzeugte, heftig schlagende Bassparts von Mariusz Duda - endlich ist wie von Zauberhand der Sound deutlich verbessert. Sie geben als Stilmittel gegen Ende ihrer Stücke stets brachial Vollgas, was unter den „Geheimbündlern" im Publikum von gemäßigtem Headbanging begleitet wird. Davon erkennt man über das Konzert verteilt eine ausreichende Portion und dies ist gewissermaßen Beleg für o. g. „Kopfkino". Im bereits begonnenen Superjubelsturm, wird man interaktiv weiter zum Klatschen aufgefordert. Dann: sensationeller flirrender, floatender Gitarrenabgang - alles äußerst saftig (das beste Stück für mich, ich gebe es gern zu).

Nach dem offiziellen Ende dann: Die Schreie nach Zugabe waren laut, und es gab deren zwei: zunächst "panic room" 2/4-Takt mit Industrial-Einstieg, ein paar Effekten vom Synthie und wieder Hypnose. Nach hinten raus sphärische Keyboardläufe. Im Riverside Outro ist die Gitarre wieder Hauptträger. Vocals werden verzerrt, glasfest deutliche Drums von Piotr Kozieratzki und ein erneut fettes Ende war obligat. Als Zugabe zwei vom ersten Album kommt das wunderschöne und klangvolle „the curtain falls" Der Abgang der Riverside-Helden erfolgt wie beim ersten Mal in Oberhausen, einzeln, leise und sanft. Erst Gitarre, dann Bass, dann Drum, dann Keyboard. Artige Verbeugung aller erfolgt und das war dann das wirkliche Ende!

Insgesamt eine klasse, ungewöhnliche Band, sowohl stilistisch als auch instrumentell gesehen. Leider nicht zwingend ein Konzert der Extraklasse. Da man aber jederzeit zu ihnen halten könnte: definitiv ein gelungenes, stimmungsvolles Konzert sowie eine druckvolle Gesamtperformance des polnischen „Geheimtipps". Die Sache mit der Masseninkompatibilität ist kulturell zwar traurig, hat aber mindestens den Vorteil, dass man auf kleinen Konzerten nah dran gelangt an seine Lieblinge und dann sehr glücklich die Szene verlässt.

Wie Sie leicht ersehen konnten, habe ich das Neutralitätsgebot verletzt, das musste ich aber tun - Sie werden verzeihen, aber für mich ist Riverside ein Konzertereignis, gerade schon stilistisch!

Fazit:
Weltrevolution findet wieder nur imaginär nach innen statt, im Individualisten selbst - es bleibt ein ewiger Traum, funktionierende „Randkultur" doch siegen zu sehen!

Ciao