Messekunst - Substanz so vielfach verdünnt oder einfach vergessen wie nie?
Alex Jasch 23.04.07


Die Kunstmesse „duesseldorf contemporary" (DC), die nun (April 2007) in Düsseldorf stattfindet, wird als willkommene Ergänzung des Messekalenders klassifiziert (Welt Online 18.4.) Diese Messe soll einem „ganz anderen, neuen Konzept" folgen und Kunst von 1980 bis heute anbieten. Dies „schön exklusiv" - Düsseldorf würde „auf Weltniveau mitspielen." Man wolle vor allem mehr in Richtung Lifestyle und gesellschaftliches Ereignis gehen und es würde "hip sein, auf die DC zu gehen". Sie soll „richtig Glamour" haben, mit Prominenten und rotem Teppich, mit Scheinwerfern und TV. Dazu sollen die kulturellen Kräfte der Stadt Düsseldorf gebündelt werden, es soll einen „Neuanfang im Rheinland" geben, und die DC soll "Bedürfnisse der Sammler befriedigen, die anderenorts nicht wahrgenommen werden." Walter M. Gehlen, Geschäftsführer der DC, führte dazu aus, dass diese Messe sehr gut zu Düsseldorf passt, sie sich hauptsächlich um zeitgenössische Kunst kümmert und speziell junge Künstler unterstützt werden.

Trotz lobenswerter Ansätze soll es also einmal Mehr um Eventkunst gehen. Dabei drängt sich aber die Frage auf, ob es denn trotz Glamour etwas Neues zu lernen gibt, bzw. ob ausreichend Lernessenz da ist. Zwar sieht Kunst heute aus wie Kunst, oft stark getunt, ist aber keine. Kunst sollte idealer Weise insgesamt im gesamtgesellschaftlichen Kontext wahrgenommen und zugleich viel privater gesehen werden. Der Quell des individuellen Genusses liegt gewiss in der Verstehbarkeit der Kunst - das ist das alte Problem. Man sieht mit einem Kunstwerk ja „ein Leben" an, was einem sympathisch sein muss. Und:ein zeitgenössischer Sammler sollte sich mehr auf „echte Begegnungen" und nicht einen Hype zum absammeln einstellen. Auch die naturalistischen Sichtbarkeiten gibt es in der Kunst heute zwar reichlich, sie sind aber sinnentleert und werden fast comichaft, entweder mit akademischem Diskurs aufgeblasen oder eben verbraucherfreundlich herunter gerechnet. Jedenfalls: wenn man die Gefühle wieder beachtet - auch als „Marktparameter" betrachtet, liegt man wieder gut. Ansonsten lässt es sich nicht mit Vernunft alleine (im Sinne von Kant) lösen.

Vernunft ist ein Klischee der Gefühle, das Patentwerk der Assoziationen. Gibt es einen Mathematiker, der nicht Bilder denkt beim Rechnen? Die abstrakte Mathematik ist ein dummes, fragwürdiges Ideal zum Wahrnehmen von Kunst. Erkenntnisse schöpft man nicht aus Statistiken, Erkenntnisse hat der, welcher die Welt, ja sein Leben zu lesen vermag. Es geht um Empfindsamkeit, Tiefe, um das, was man vielleicht auch die Öffnung seiner Seele nennen könnte. Es geht um ein skeptisches Verhältnis gegenüber den Räumen, den Konventionen.

Nicht aus einer postmodernen Avantgarderoutine heraus, nein, weil es zeitgenössisch in der Kunst eine zu automatisch praktizierte, pragmatisch orientierte Rückbesinnung auf das Format, den Raum, die Konvention gibt. Man gibt sich dabei geläutert und abgeklärt, das hat etwas fürchterlich Restauratives, Neokonservatives, Dummes. Denn wahr ist: man hat sich die Kunst heute längst einfach abgewöhnt, man könnte auch netter sagen: sie ist säkularisiert, verteilt in unserem Äther der Wirklichkeit. Es gibt heute einfach andere, billigere Götzen, des Ästhetischen-Kultes, das kann ich aus eigener Lifestyle-Erfahrung und Konsumbefriedigung behaupten. Aber es steckt wohl auch schon die eigentliche Wahrheit hierin. Was wäre Kunst denn eigentlich wert? Was macht Kunst denn eigentlich?- jetzt mal ohne diesen ganzen Neuzeit -Akademie -Erkenntnis -Lebensbegründungs etc. -Diskurskram? Kunst liefert sich (erneut) einem recht frivolen Klima des Kunstunterhaltertums aus. Die Kunstsammlung heute als eine Art Plattensammlung, das Museum als Diskothek...

Gerade jetzt, wo man sich unbewusst klar wird, dass es sich nur noch um Reste, eine leere Hülle dessen handelt was Kunst wohl mal war, ist in diesem restaurativen neokonservativen Klima der globalen „Erwärmung" der Kunsthandel wohl so groß wie nie, aber die Substanz so vielfach verdünnt oder einfach vergessen wie nie? Ich denke nein! Spätestens seit der Epoche der Romantik hat sich aus dem frivolen des "Barock" und dem vermessenen Repräsentationsdenken des Klassizismus, ein reines Erkenntnisding entwickelt. Es braucht hierfür aber schon eine Mindestbereitschaft, zu einer Grundoffenheit, Grundbedürftigkeit, dem Religiösen ganz ähnlich, vielleicht ist es auch dasselbe.Es geht jedenfalls nur durch, für und mit solchen Menschen, die ein Stück weit von sich, ihrem ganzen Status des Erreichten und persönlich Repräsentativen, abrücken, die sich vom gängigen Konsumismus und Berufsleben-Repräsentationismus etc. emanzipiert haben.

Auch heute hat sich, seit der Romantik wohl immer wieder, bereits unter dem Druck des Epigonalen eine Kultur der ungefragten, der privaten Betroffenheit gegründet. Menschen schreiten zu Werke, suchen nach Meisterschaft, die so niemand gefragt hat und die weder zu Lebzeiten und später noch viel weniger so auch niemand hören will. Sie mühen sich, sie rackern, sie scheitern oft, im Ungekonnten, Unvollendeten, im Lächerlichen. Doch mit ihnen entsteht ein neuer existentieller Druck, denn sie markieren eine Opferbereitschaft, die Kunst als „Scheiß", als Konsumgut so nicht mehr nennbar macht. Wer seitdem Kunst nicht sachgemäß behandelt, geht streng genommen über Leichen - deswegen halte ich Kunst für so rechtmäßig streng und unaufhörlich tiefsinnig.

Ich halte die klassische Moderne, artistisch besehen, nach wie vor für absolut wirklich. Wir leben heute in einer Zeit der Nachpostmoderne, wo wir die Altlasten jener Epoche epigonal zu verwalten haben. Es regiert unsere Wirklichkeit ein nachmoderner genereller Ästhetizismus, welcher in der Postmoderne immer wieder zu entschärfen, zu relativieren versucht wurde. Letztendlich ist aber nichts anderes als der gnadenlose Anspruch an Kunst übrig geblieben, welchen dieser allgemeine Ästhetizismus erzeugt hat. Das Postmoderne erscheint uns nun bloß noch als Spielart jenes klassisch modernen Kunstkanons, dessen Wahrheiten man nur annehmen kann oder nicht, gewissermaßen als Vollendung der Geschichte. Vieles Zeitgenössische versucht sich herauszuwinden aus diesen Wahrheiten und ihren Ansprüchen und endet doch nur im Unvollkommenen, Unwahren, Ungerechten. Weil man sich der Tragweite des überkommenen Weltbildes des Historismus nicht klar werden will oder kann.

Die klassische Moderne hat die Artistik derart vereinfacht, dass man sich schließlich den „Klischeeismus" eingehandelt hat. Das meint u. a. Formen der Kunst, die an sich zum Klischee von Kunst geworden sind. Klischees sind für den zeitgenössischen Künstler nicht unbedingt problematisch, da sie nicht so peinlich wie eine unvollendete Form sind. Will man Klischees überwinden und neue glaubhafte Formen erfinden, gilt es das Unbekannte der Kunstformen nicht auf Gedeih und Verderb herauszufordern, ganz anders wäre es eben nur sinnvoll, jene peinliche Berührtheit des Unbekannten so zu dosieren, dass diese noch kommunizierbar ist, als unbekannter faszinierender Aspekt. Jeder der Kunst heute ernsthaft machen will, muss einen Weg finden, sich mit diesem Problemschauplatz auseinanderzusetzen.

Dabei gilt wiederum Folgendes: hat man jemals die Fähigkeit erlangt, etwas Glaubhaftes zu formulieren, so, dass es nicht bloß nach Kunst aussieht, sondern diese wesentlich, lebendig ist, so kann man diese Fähigkeit zur Vision der Formwerdung auf jeden beliebigen anderen Bereich der Kunst übertragen, nein ausdehnen. Kunst ist heute als historische Wahrheit nicht die Summe ihrer Gattungen, die Menge der kunstvollen Dinge, wie heute vor allem marktfreundlich und retrograd gerne wieder angenommen wird, sondern die Fähigkeit zur Verfertigung als solche, die Poesie schlechthin, eben alles, was als Kunst denkbar ist. Kunst ist nicht nur das Ding - ein Kunstwerk besteht nur in der konkreten Zuordnung zu der Fähigkeit welche dieses ermöglichte. Die Umstände an denen, unter denen, ein Kunststück erscheint, sind somit entscheidend geworden. Der heutige Künstler versucht diesen Zusammenhang in jeder erdenklichen Art und Weise zu bedenken. Malerei ist historisch überliefert also: Theater, Dichtung, Musik, Zeichnung, Bildhauerei, Malerei usw... Musik wäre demnach: Musik, Zeichnung, Bildhauerei, Malerei, Theater, Dichtung, Musik, usw..., weil es mit dem ästhetizistischen Verständnis der modernen Kunst immer nur um Kunst als der großen Poesie, als solches geht.